Digitalisierung und DIE LINKE.
Grundrechte müssen gelebt werden, um Demokratie zu bewahren
Was trivial klingt, ist eine bittere Wahrheit, die derzeitigen Digitalisierungsvorhaben nutzen häufig weder Bürgerinnen und Bürgern noch Beschäftigten. Christiane Ohnacker, Moderatorin des Abends, Betriebsrätin und Direktkandidatin für DIE LINKE. im Lahn-Dill-Kreis, fasst es wie folgt zusammen: „Die Digitalisierung überrollt uns und macht die Wahrnehmung der Rechte aus der Mitbestimmung sehr schwierig.“ Sie ist Krankenschwester im Krankenhaus und weiß aus eigener Erfahrung, dass immer mehr Zeit für die digitale Aktenpflege statt für Patientenpflege aufgewendet werden muss.
Zu dem Abend, am 12. September, hatte der Limburger Direktkandidat, für die Partei DIE LINKE., Tobias Henrich eingeladen. Er begrüßte neben Moderatorin Christiane Ohnacker: Anke Domscheit-Berg, digitalpolitische Sprecherin der LINKEN im Bundestag, Liv Dizinger, Abteilungsleiterin für Struktur- und Technologiepolitik beim DGB-Bezirk Hessen-Thüringen, Dr. Jürgen Klippert, beschäftigt im Ressort Zukunft der Arbeit einer großen DGB-Gewerkschaft und Torsten Felstehausen, digitalpolitischer Sprecher der LINKEN im Hessischen Landtag.
Liv Dizinger stellt in Ihrem Eingangsstatement zunächst fest, dass die Hessische Landesregierung in Ihrer Digitalpolitik zu arbeitgebernah und zu sehr auf Forschung und Entwicklung fokussiert sei: „Die Themen Tarifbindung und Arbeitnehmerrechte werden total unterbelichtet betrachtet.“ Sie wies auf den DGB Index „Gute Arbeit“ hin. 80 % der Beschäftigten würden inzwischen mit digitalen Mitteln arbeiten, 40 % der Beschäftigten würden sich dadurch aber zusätzlich belastet fühlen und lediglich 9 % entlastet. Neben einem gestiegenen Arbeitspensum, seien Bedienprobleme, Unterbrechungen, Multi Tasking, Überwachung und Leistungskontrolle die Hauptgründe für gestiegene Belastungen.
Auch Torsten Felstehausen, der die Digitalpolitik als Mitglied der Linksfraktion im hessischen Landtag kritisch begleitet, sieht die Schwerpunkte falsch gesetzt: „Das Digitalministerium kümmert sich lediglich um die Standorte von Rechenzentren. Da ist die Begrünung der Dachflächen bereits ein Erfolg.“ Seiner Meinung müssten viel stärker die Interessen und Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger im Zentrum der Digitalpolitik stehen. Als Beispiel nannte er die flächendeckende Versorgung mit schnellem Internet und die barrierefreie Nutzung staatlicher Dienstleistungen – dies dürfe aber nicht zur Abschaffung der Ansprechpartner vor Ort sorgen.
Felstehausen, der auch mit dem Thema Datenschutz betraut ist, resümiert, dass Hessen beim E-Government hinten liegt und stattdessen höchst problematische Entwicklungen von der Landesregierung gefördert werden: „Das fängt beim Scannen von KFZ-Kennzeichen an, geht über anlasslose Videoüberwachung und bis hin zur kompletten Umweltüberwachung.“ Hier führte er insbesondere den verfassungswidrigen Einsatz von HessenData, einer Software des US-Herstellers Palantir, als Beispiel ins Feld – die zur Überwachung der eigenen Bevölkerung eingesetzt wird.
Welche negativen Auswirkungen ein Übermaß an Überwachungstechnik haben kann, musste DIE LINKE. Limburg-Weilburg schon erfahren. Im Mai und Juni wurden deren Infostände erkennbar über Stunden gefilmt. Die Polizei zog sich darauf zurück, dass es sich dabei um einen technischen Systemfehler gehandelt hätte. Dies ändert aber nichts am potentiellen Schaden für die Demokratie, wenn sich immer weniger Menschen trauen, sich über kritische Positionen zu informieren und für diese einzutreten. Gleiches gilt für das sogenannte Versammlungsfreiheitsgesetz, welches unter anderem Personenkontrollen vor und das Filmen von Demonstrationen ermöglichen soll.
Anke Domscheit-Berg, die für DIE LINKE im Bundestag Mitglied der Enquete-Kommission „KI und Staat“ ist und sich unter anderem mit den Themen Zukunft der Arbeit, Roboter am Arbeitsplatz, Überwachungs- und autonome Waffensysteme befasst, ergänzt: „Die Kombination mehrerer Überwachungsmaßnahmen addieren sich nicht, sondern potenzieren sich.“ Der Chilling Effekt beschreibe sehr gut, wie übertriebene Überwachungsmaßnahmen Menschen bei der Ausübung ihrer Grundrechte hemmen und entmutigen können.
Zwei aktuell auf EU-Ebene vorangetriebene Projekte seien hochproblematisch. Die sogenannte Chatkontrolle und der AI Act, erstere soll das Auslesen verschlüsselter privater Messenger-Nachrichten und Cloud-Speicher ermöglichen, letzterer die nachgelagerte biometrische Gesichtserkennung für Sicherheitsbehörden. Gegen beides hatte sich die Bundes-Ampel im Koalitionsvertrag ausgesprochen und hätte die Möglichkeit gehabt für die Sperr-Minorität auf der EU-Ebene zu sorgen, hat dies aber nicht getan – obwohl auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit angemeldet hatte.
Domscheit-Berg warnt davor, dass wir durch solche Maßnahmen Verhältnisse wie in China bekommen könnten und der AfD, im Falle einer Machtübernahme, technisch alle Möglichkeiten an die Hand geben würde, um die Zivilgesellschaft zu überwachen und zu unterdrücken. Vor diesem Hintergrund mahnt sie, dass die digitale Revolution auch eine soziale Revolution werden muss. Nach dem Mauerfall hätten 80 % der Menschen im Osten ihren Arbeitsplatz verloren, das dürfe sich nicht in Gesamtdeutschland wiederholen. Sie plädiert für ein bedingungsloses Grundeinkommen oder zumindest ein Bildungsbudget, welches jedem eine persönliche Weiterentwicklung ermöglichen soll.
Jürgen Klippert wies darauf hin: „Nicht alle müssen programmieren lernen.“ Es geht vielmehr darum, dass viele Beschäftigte aktuell zuletzt von den geplanten Änderungen an Ihren Arbeitsplätzen erfahren. Dabei seien die Beschäftigten die Experten für Ihre Arbeit und wüssten am besten, wie sich Prozesse verbessern ließen: „Gute digitale Arbeit ist möglich. Betriebs- und Personalräte sind ein Erfolgsfaktor.“ Tobias Henrich schloss die Gesprächsrunde mit der Tatsache, dass wir alle gemeinsam Einfluss auf die Verhältnisse nehmen können, sowohl innerhalb, als auch außerhalb des Betriebs.